Magdeburg – eine grüne Stadt?

26.08.2021

Christoph Schubert

Magdeburg will bis 2035 „nahezu“ klimaneutral werden – so steht es zumindest im Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK) der Landeshauptstadt geschrieben. Das Bauvorhaben am Prämonstratenserberg dagegen, passt eher nicht in eine ökologisch-nachhaltige Stadtentwicklung. Wie die Stadt dennoch für diese Bebauung argumentiert und warum ihre Annahmen falsch sind. Ein Gastbeitrag.

Es ist die vorletzte Grünfläche der Altstadt. Die Wiese am Prämonstratenserberg, eine Grünfläche direkt hinter dem Allee-Center, soll laut Plänen der Stadt versiegelt und bebaut werden. Angetrieben wurde das Vorhaben von Ex-Oberbürgermeister Wilhelm Polte (SPD) und der Wohnungsbaugesellschaft Magdeburg. Die Diskussion um die Nutzung dieser Fläche stand schon seit Jahren zur Debatte, nun soll dort ein kleinteiliges Altstadt-Viertel mit historischen Häuserfassaden errichtet werden.

Das Hauptargument der Stadt scheint eindeutig: Magdeburg benötige Wohnraum, die städtebauliche Verdichtung sei in einer Stadtentwicklung oberste Priorität. Zahlen und Fakten schienen die Mitglieder des Stadtrats und des Umwelt- und Bauausschusses jedoch gekonnt ignoriert zu haben. Innerhalb der letzten 30 Jahre hat die Stadt rund 30 000 Einwohner:innen verloren. Der Wohnungsbestand dagegen stieg im selben Zeitraum um 11,56 Prozent. Ob Magdeburg wirklich so viel Wohnraum benötigt?

Der Wohnungsleerstand ist ein weiterer Anhaltspunkt, um das Argument zu widerlegen. So gab das Statistische Landesamt  im Monatsbericht vom Januar 2020 an, dass im Zeitraum von 2014 bis 2018 der Wohnungsleerstand in Magdeburg zunahm, jede siebte Wohnung ist somit unbewohnt. Trotz dieser Informationen will die Stadt Magdeburg, die sich sonst immer stolz als grüne Stadt nach außen präsentiert, die verbleibenden Grünflächen mit Wohnraum zubauen, der niemandem etwas nützt. Oder doch? Der WOBAU als städtische GmbH würde es sehr wohl etwas nützen, einen Bauauftrag zu erhalten, denn: der WOBAU kommt dieses Vorhaben finanziell zu Gute. Das ist per se nicht verwerflich, das Geld würde auch wieder in die Stadt und somit in deren Kasse zurückfließen. Aus dieser Sichtweise wurde das Ganze aber nicht mit den Bürger:innen kommuniziert. Im letzten Jahr beispielsweise, erwirtschaftete die WOBAU eine große schwarze Zahl. Dabei sollte sie in der Theorie nicht gewinnorientiert handeln. Die Gewinnerträge fließen in den Haushalt der Stadt, welche wiederum in verpatzte Projekte wie den Bau des Tunnels an der Ernst-Reuter-Allee investiert werden. Ein ewiger “Teufelkreislauf”.

Der Klimaschutz ist in Vergessenheit geraten

Der Clou der Geschichte ist: bei der Bebauung des Prämonstratenserbergs, der möglichen Ausgrabung am Ulrichplatz und die Projekte im Rotehornpark sind mit den Klimaschutz-Zielen der Landeshauptstadt in keinem Fall kompatibel. Gerade in der Altstadt sind die zwei letzten verbleibenden Grünflächen von höchster ökologischer Bedeutung für das Stadtklima. Eine Versiegelung und Bebauung zerstört Frischluftschneisen, das heißt: die Stadt heizt sich bei extremer Hitze immer weiter auf, ohne dass ein Luftaustausch überhaupt stattfinden kann. 

Im Klimaanpassungskonzept und Masterplan “100% Klimaschutz” der Stadt Magdeburg steht genau das bereits drin – ein Wärmeinseleffekt stelle eine erhöhte gesundheitliche Gefahr für die Menschen in der Innenstadt da. Der Anteil wärmesensibler Menschen wie beispielsweise Kleinkinder und Senior:innen ist dabei in der Altstadt mit 35% im Vergleich zu anderen Stadtteilen besonders hoch. Wie rechtfertigt die Stadt diese Entscheidungen? Es scheint, als würde die Stadt diese Grundlagen in der Stadtentwicklung gekonnt missachten, welche doch eigentlich bei solchen Beschlüssen berücksichtigt werden sollten.

Im ISEK Magdeburg  steht geschrieben, dass in Stadtteilen mit erhöhter Wärmebelastung der Grünanteil kontinuierlich zu erhöhen sei – die weitere Städtebauentwicklung sei auf die Minimierung klimawandelbedingter Effekte auszurichten. Die Entsiegelung von Flächen sei eine gute Maßnahme, um solche klimatische Folgen abzuwenden. Stattdessen wird immer weiter gebaut – dass bauen an sich klimaschädlich ist, womöglich schädlicher als die Bäume bei den genannten Flächen zu entfernen, steht erst gar nicht zur Diskussion.

In der Beschlussvorlage der Stadt heißt es, dass das Konzept einen breiten Diskurs benötige – viele Anwohner:innen wurden jedoch nicht informiert oder gar mit einbezogen. Nun regt sich Widerstand gegen das Bauprojekt. Die Bürger:innen fordern mehr Beteiligung – die meisten aber möchten am liebsten die Grünfläche so erhalten wie sie ist. Eigene Anliegen stehen nur bedingt im Vordergrund. Oft ist es der Klimawandel selbst, der ihnen Sorge bereitet. Der Beschluss zur Bebauung ist ein klares Signal, dass selbst bei kleineren Entscheidungen der Erhalt von Grünflächen und Schutzräumen für Mensch und Umwelt nicht im Vordergrund steht. Ein Bürger:innenbegehren, initiiert von Bärbel Vetter und Dr. Franka Kretschmer, soll nun an den Stadtrat herangetragen werden. 

Jeder Maßnahmenkatalog, jede Untersuchung zum Klimawandel und deren Folgen, quasi alle Dokumente der Stadt Magdeburg zum Thema Klimaschutz weisen eindringlich auf die drohende Gefahr hin, die bereits heute und in den nächsten Jahren auf uns zukommt. Mit dem Klima lässt sich nicht verhandeln – das ist eine Botschaft, die in den obersten Reihen der Verwaltung noch nicht angekommen ist. Wenn die Stadt ihre Klimaziele aufstellt, die vorerst nach einer modernen und zukunftsorientierten Stadtentwicklung klingen, sollten solche Ziele auch in allen betroffenen Entscheidungen konsequent beachtet werden. Falls das nicht passiert (Spoiler: es passiert nicht), hat die Stadt in ihrem kompletten Handlungsspektrum versagt.

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